Büchergrüfte. Warum Büchersammeln morbide ist und Lesen gefährlich

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Daten zum Buch
Deutscher Titel: Büchergrüfte. Warum Büchersammeln morbide ist und Lesen gefährlich
Autor(en): Eric W. Steinhauer
Herausgeber:
Erscheinungsort: Darmstadt
Verlag: Lambert Schneider in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG)
Serie:
Erscheinungsjahr: 2014
Seitenanzahl: 144 Seiten
Originaltitel: -
Originalsprache: deutsch
ISBN-10: 3650400219
ISBN-13/

EAN-Code:

978-3650400215
Schlagwörter: Bibliotehksgeschichte, Vampirismus
Sachgebiete: Sachbuch
Rezensionen

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Eric W. Steinhauer nimmt sich in seinem Buch Büchergrüfte. Warum Büchersammeln morbide ist und Lesen gefährlich dem Thema des Verfalls und der Morbidität von Büchern und Bibliotheken an. Dabei stellt er zunächst fest, dass Bücher und Bibliotheken heute selbst durch die Digitalisierung der in ihnen verwahrten Inhalte in gewisser Weise zum Sterben verurteilt seien, die Metapher eines "Friedhofs" der Bücher (10) bzw. einer Büchergruft sich geradezu aufdrängen würde, wie der Autor im 1. Kapitel des Buches einführt. Allerdings ist das Thema Buch, Tod und Verfall noch auf viel vielfältigere Weise bereits seit Jahrhunderten miteinander verknüpft, wie Steinhauer in fünf weiteren Kapiteln erläutert, um dann in einem abschließenden Kapitel auf die auch zukünftige Rolle der "Morbidität" von Bibliotheken hinzuweisen.

Zum einen verweist Steinhauer darauf, dass Gräber zur Verewigung von Stiftern oder großen Persönlichkeiten (die Trajanssäule als Begräbnisstätte des Kaisers Trajan stand ursprünglich in einer Bibliothek, S. 13), Mumien (Stiftsbibliothek in St. Gallen, Bibliotheca Theresiana in Wien, 18 f) und Skelette in der Rolle von Wunderkammern (32 ff), als Teil medizinischer Sammlungen oder als momenti mori immer auch schon in Bibliotheken zu finden waren. Auch Kuriositäten wie der Finger Galileis in der Bibliotheca Laurenziana in Florenz (28) oder das Skelett eines Bücherdiebs im Kings College (25) gehörten bis ins 19. Jahrhundert genauso in die Inventarlisten von Bibliotheken wie etwa auch morbide Bücher aus Menschenhaut (28 ff), die aus verschiedensten Gründen hergestellt worden sind, u.a. um morbide Themen wie "Totentanz" von Hans Holbein zu illustrieren oder gar um die Verbrechen eines Verbrechers in seiner eigenen Haut darzustellen (30). Zum anderen verweist Steinhauer aber auch darauf, das Bücher und Bibliotheken selbst den Tod bringen können. Denn bis ins 19. Jahrhundert hinein (bis 1850/60) wurde das Papier für Bücher nicht aus Holz, sondern aus Lumpen und Knochenleim hergestellt, was nicht selten zur tödlichen Verbreitung von Viren (Pest, Lungenmilzbrand) in den Papiermühlen hinauslief und das Leben vieler Arbeiter beendete (50). Aber auch die Bücher selbst können über die Zeit eine beeindruckende Fülle von für den Menschen gefährlichen Schädlingen ansammeln, darunter Käfer, Ratten oder Schimmel (56 f). Ein vom Schimmel befallenes Buch kann innerhalb von einem Jahr 20% seiner Substanz einbüßen und in Bibliotheken können bis zu 30 verschiedene Pilzarten gefunden werden (57). Das pathogene Buch kann auch Viren, Bakterien und Substanzen aller Art des Vorbesitzers oder Vorbenutzers weitergeben bzw. übertragen, weshalb es in manchen Bibliotheken auch Desinfektionsstellen gab oder gibt. (67)

Schließlich kann das Lesen selbst natürlich ansteckend sein. Heute gilt das Bücherlesen überwiegend als aufklärerisch und positiv, im 18. und 19. Jahrhundert wurde jedoch auch die "Leseseuche" (72 ff) immer wieder stark kritisiert. Das Lesen und die dadurch hervorgerufenen Gefühle wurde sogar als eine Ursache für die Tuberkolose angesehen (75). Steinhauer weist darauf hin, dass der Vampirismus als einziger echter Mythos der Neuzeit (90 ff) vor allem auch durch schriftliche Berichte des 18. Jahrhunderts und schließlich durch die Vampirromane des 19. Jahrhunderts' - allen voran durch Bram Stokers "Dracula" (1897) - verbreitet, ausgeschmückt und zur Blüte gebracht worden ist. Steinhauer zeigt hier auch, dass ähnlich zum Vampirroman auch Mary Shellys Buch Frankenstein zu sehen ist (104 ff). Es ist nicht nur in einer ähnlich berichtsförmigen Erzählform verfasst, sondern weist sogar darauf hin, dass die falsche alchemistische Lektüre (106) zur Erschaffung des Monsters geführt habe. In Frankenstein kann man somit nicht nur eine Kritik der sich ausbreitenden Technologie erkennen, sondern auch eine Kritik an fehlgeleiteter, mithin ansteckender Literatur.

Dennoch sieht Steinhauer gerade auch im Lesen und in der Literatur eine gewisse Form spezieller melancholischer Energie wirken, die gerade erst zu besonderen Leistungen anregen kann, wie etwa in Storms Novelle "Immensee" dargestellt, in der ein um seine Jugendliebe trauernder Philologe Linderung in seiner geistigen Arbeit findet (120 f). Gleichwohl sind Bücher und Bibliotheken durch ihren heutigen "Funktionsverlust" (123 f) durch die Digitalisierung auch stark vom Aussterben bedroht, auch wenn sie als Orte der Kommunikation und der Zusammenkunft einstweilen noch existieren oder sogar wachsen. Dennoch sieht Steinhauer auch im Buch und in der Bibliothek trotz aller Digitalisierung immer noch einen wichtigen Wert: Denn nur das Buch als physisches Objekt kann das darin enthaltene Wissen als Objekt geschichtlich fixieren (128), insofern ist - und das ist die Pointe des Buches - die Zukunft der Bibliothek morbide .

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