Maschinendämmerung. Eine kurze Geschichte der Kybernetik

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Daten zum Buch
Deutscher Titel: Maschinendämmerung. Eine kurze Geschichte der Kybernetik
Autor(en): Thomas Rid
Herausgeber:
Erscheinungsort: Berlin
Verlag: Propyläen Verlag
Serie:
Erscheinungsjahr: 2016
Seitenanzahl: 496 Seiten
Originaltitel: Rise of the Machines. A Cybernetic History
Originalsprache: deutsch
ISBN-10: 3549074697
ISBN-13/

EAN-Code:

978-3549074695
Schlagwörter: Computergeschichte, Kypernetik
Sachgebiete: Kulturgeschichte
Rezensionen
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Thomas Rid, Professor für "Security Studies" am King`s College in London hat mit dem Sachbuch Maschinendämmerung. Eine kurze Geschichte der Kybernetik eine Kulturgeschichte des kybernetischen Denkens vorgelegt, "eine der großen Ideen des 20. Jahrhunderts" (23). Er zeigt darin, wie Kybernetik, also die Wissenschaft von der Selbststeuerung von Systemen, zunächst aus dem Geist der Kriegsforschungen entstanden ist, dann aber als utopistische Idee Eingang in die alternative Bewegung und die Hippiekukltur der 60er-Jahre fand, um ab den 90er-Jahren als Cyberpunkt wiederum negativ gedreht zur heute vorherrschenden dystopischen Idee zu werden.

Rid beschreibt zunächst den Grundgedanken der Kybernetik, so wie er von Norbert Wiener entwickelt worden ist. Ausgehend von den Entwicklungen des 2. WKs, an dessen Ende mit der deutschen Rakete V2 eine neue Form der Distanzwaffe Einzug in den Krieg fand, wurde Wiener damit beauftragt, Raketenabwehrsysteme zu entwickeln. Wiener entwickelte hierzu die ideelen Grundlagen der Kybernetik aus automatischer Steuerung, Rückkopplung und Mensch-Maschinen-Interaktion, um die Flugbahnen heranfliegender Raketen so schnell wie möglich zu berechnen und abzuschießen. Da Berechnung und Abschuss so schnell wie möglich vonstatten gehen mussten, wurden somit die Grundlagen der Kybernetik aus dem Geist des Krieges geboren. Es ist erstaunlich zu sehen, wie alt die Gedanken etwa an Exoskelette als Verschmelzung von Mensch und Maschine oder an Virtual Reality, die heute wieder aktueller denn je sind, wirklich sind. Die vierbeinige Laufmaschine des US Militärs von 1969 oder der 1964 gebaute Pedipulator etwa wirkt wie eine Vorlage für einen Star-Wars-Film (S. 168 und Bild 25) und die VR-Brille Visually Coupled Airborne Systems Simulator (Bild 31) aus den späten 70er-Jahren, die zur Unterstützung für Piloten von ultraschnellen Kampfjets entwickelt worden ist, ist auch weit älter als man annehmen möchte.

Ausgehend von diesen militärischen Entwicklungen zeigt Rid auf, wie sich aus diesen zugrundeliegenden Ideen, eine Kultur der erhofften Befreiung entwickeln konnte. (S 228 ff). Der Computer wurde als ein Instrument der persönlichen Macht und Befreiung betrachtet, VR sogar als "elektronisches LSD" (S. 272). Verschlüsselungstechnologie ( S. 301 ff) und Datencenter an für Staaten unerreichbaren Orten wie in HavenCo, einer umfunktionierten alten Seefestung aus dem Zweiten Weltkrieg, an der eine Datenoase entstehen sollte, (S. 351 ff.) ließen die Protagonisten der 70er und 80er Jahre glauben, dass der Computer von nun an im Dienste der Freiheit arbeiten würde.

Die Wende hin zu wiederum dystopischen Gedanken sieht Rid mit dem 2. Golfkrieg von 1991 vollzogen. (366) Dieser chirurgische High-Tech-Krieg wurde parktisch nur noch aus der Ferne geführt und ließ den irakischen Truppen trotz ihrer an sich guten militärischen Ausrüstung keinerlei Chance, es handelte sich um ein Paradigmenwechsel in der Kriegsführung. Diese Form der überlegenen Kriegsführung aus der Ferne ließ aber zugleich die Angst davor entstehen, was passieren würde, wenn diese Waffen in die falschen Hände gelangen würden. Zusammen mit den ersten weit verbreiteten Computerviren und -würmern und dem Eindringen russischer Hacker in amerikanische Computernetze 1998 (S. 388), ließ so die Angst vor einem "digitalen Pearl-Harbor" (384) enstehen und führte wiederum zu der Frage nach "Singularität" (416), also der Frage, wann es Maschinen gibt, die gleich klug wie Menschen sind und ab diesem Zeitpunkt den Menschen als Spitze der Schöpfung ablösen, eine Frage, der auch bereits Wiener in seinem Buch "God & Golem" nachgegangen war.

Rids Standpunkt hierzu ist jedoch, dass nicht die Maschine im Begriff ist, den Menschen zu kontnrollieren, sondern nach wie vor der Mythos, den er in seinem Buch nachgezeichnet hat. (430)

Bewertung

Das Buch Rids füllt eine erstaunliche Lücke in der kulturwissenschaftlichen Analyse des Informationszeitalters. Der Autor zeichnet minutiös die teils wirklich alten Ideen und Mythen nach, die mit der Kybernetik in die Welt kamen und die uns tatsächlich nach wie vor stark beherrschen. Fast keine Tagesschau vergeht, in der nicht von Cyberkrieg oder Datenlecks gesprochen wird. Noch etwas mehr Raum hätte aber die Jetztzeit verdient, eben etwa in den Diskussionen von "Cybersicherheit" oder "Cyberkrieg" oder rund um die Auswirkungen durch Wikileaks und Edward Snowden.