Rebellion und Wahn - Mein '68. Eine autobiographische Erzählung
Daten zum Buch | |
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Deutscher Titel: | Rebellion und Wahn - Mein '68. Eine autobiographische Erzählung |
Autor(en): | Peter Schneider |
Herausgeber: | |
Erscheinungsort: | Köln |
Verlag: | Kiepenheuer & Witsch Verlag |
Serie: | |
Erscheinungsjahr: | 2008 |
Seitenanzahl: | 367 Seiten |
Originaltitel: | - |
Originalsprache: | Deutsch |
ISBN-10: | 3462039768 |
ISBN-13/
EAN-Code: |
978-3462039764 |
Schlagwörter: | 68, Rebellion, Springer, Dutschke, 68er |
Sachgebiete: | Sachbuch |
Rezensionen | |
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Peter Schneider, heute Autor und Schriftsteller zahlreicher Bücher, beschreibt in seinem autobiographischen Werk seine Sicht auf die 68er-Jahre, in denen in Deutschland die sogenannten Studentenunruhen für Aufsehen sorgten. Peter Schneider selbst war 1968 im Umfeld des Berliner SDS aktiv und bereitete 1967 das Springertribunal vor, auf dem eine Anklage gegen die aus Sicht der Studenten marktbeherrschende Meinungshoheit des Axel-Springer-Verlags geführt werden sollte und die Forderung nach einer Enteignung von Springer erhoben wurde.
Aufgewachsen in Freiburg im Breisgau beschreibt Schneider seine Jugend in der Provinz, in der T-Shirts bereits als revolutionär galten und alte Nazi-Lehrer den Geschichtsunterricht über das 3. Reich wegen "Befangenheit" ablehnten (19). Schneider empfand das Freiburg der 50er und 60er Jahre als rückständig und spießig, weshalb er seinen Weg weg aus der Stadt Heideggers suchte und seinem Universitätslehrer Bergstrasser entgegenhielt: "In diesem Paradies der Anthroposophen und ihrer weißen Kügelchen rege sich nichts Lebendiges mehr." (47)
Schneider empfand Berlin mit seiner "Abwesenheit des Schönheitssinns" (51) als Befreiung, jedoch gab es auch in Berlin im Prinzip zwei Realitäten, nämlich auf der einen Seite das der Kriegswitwen und Hausmeister und auf der anderen Seite das der Minoritäten und Lebenskünstler. (56) Schneider findet hier auf die Experementierbühne für neue Kunstformen und Schreibweisen, namentlich zu Walter Hölleres Literaturseminar an der Technischen Universität. Hier lernt Schneider etwa Peter Weiss kennen und schätzen. Dank Walter Höllerer erhält Schneider ein Stipendium an Literarischen Colloquium mit Lehrern wie Peter Rühmkorf oder Heinar Kipphardt. (61)
Nach abgebrochenem Studium und einer Zwischenstation als Redenschreiber im Wahlkampfteam von Willy Brandt (89ff.), kehrt Schneider zurück an die Freie Universität, wo sich ab Mitte der 60er Jahre die "Progessiven" zu sammeln begannen. Schneider lernt hier seine Freundin L. (im Buch wird der Name nicht ausgeschriebne) kennen, in die Schneider manisch verliebt ist. L. wird später Mitglied der Bewegung 2. Juni werden. Darüber hinaus lernt er hier aber auch den gesamten Kader des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), darunter Rudi Dutschke, Dieter Kunzelmann und Bernd Rabehl als Träger der Studentenbewegung sowie die Vertreter der anarchischen Kommune I, darunter Rainer Langhans und Fritz Teufel, kennen und gehört schließlich selbst zum Kader des SDS dazu. Als solcher wurde er schließlich mit der Vorbereitung des Anti-Springer-Tribunals beauftragt.
Eine interessante Anekdote erzählt Schneider im Zusammenhang mit L. und Axel Springer. Axel Springer hatte L. nämlich beim Kauf von Antiquitäten kennengelernt und zu sich nach Hause eingeladen, was L. auch angenommen hatte (97). Peter Schneider hatte also im Vorfeld der Anti-Springer-Kampagne indirekt Kontakt zu Axel Springer gehabt und ihn als den reichen Verführer seiner Freundin wahrgenommen. Offiziell wurde Peter Schneider jedoch von Rudi Dutschke um die Durchführung der Kampagne gebeten, nahm den Auftrag jedoch erst nach Zuspruch von Enzensberger an, der für die Studentenbewegung in Berlin so etwas wie ein intellektueller Berater war. Für Furore hat später der Bericht Schneiders von der Vorbereitung der Kampagne gesorgt, weil Schneider in seinem Buch schreibt, Augstein (Spiegel), Nannen (Stern) und Bucerius (ZEIT) hätten Geldmittel für die Durchführung der Anti-Springer-Kampagne bereitgestellt. (211) Im Nachinein hatte diese Behauptung Schneiders in dem Buch für einige Aufregung gesorgt und Schneider hatte zumindest den Namen Nannen zurückgezogen und auch Augstein und Bucerius hatten mit ihren Zuwendungen nicht den Inhalt der Kampagne selbst unterstützen wollen, sondern haben ihre Zuwendungen eher als Beitrag zu einer demokratischen Diskussion verstanden. [1]
Die Anti-Springer-Kampagne selbst war in den Augen Schneider aus heutiger Sicht jedoch verfehlt, da die nach der Veranstaltung geworfenen Steine gegen die Springereinrichtungen in Berlin die Kapagne desavouierten. (247) Und in der Tat war es nicht nur die Springerpresse selbst die von "roten SA-Horden" (247) schrieb, sondern auch intellektuelle Schwergewichte wie Habermas sahen in der ganzen Radikalisierung der Studentbewegung die Gefahr eines "linken Faschismus" heraufziehen. (168)
Und genau diese Radikalisierung sieht Peter Schneider heute auch als das eigentliche Problem der Studentbewegung an. Zwar erkennt er das Aufbegehren gegen die verkrusteten, reaktionären Strukturen der 50er und 60er Jahre nach wie vor als berechtigt an und seine Beschreibung der Jubelperser beim Schahbesuch am 2. Juni 1967 klingt auch nach 40 Jahren noch erregt (156), aber Peter Schneider sieht heute selbstkritisch als seine größte Niederlage an, nicht gegen die Radikalisierer in den eigenen Reihen vorgegangen zu sein, fordert eine ähnlich selbstkritische Reflexion jedoch auch von der Springerpresse ein. (362)
Abstand von seinem Berlintripp der 68er Jahre hat Schneider in Italien versucht zu finden. Dort besuchte er in Rom nicht nur Rudi Dutschke, der sich nach dem Attentat auf ihn dort versuchte zu erholen und seine Sprachfähigkeit wieder zu erlangen, sondern Schneider tauchte auch in Italien ein in die revolutionären Umtriebe der Studenten in Trento. Peter Schneider hat diese autobiografischen Erlebnisse vor allem in seinem Roman "Lenz" (1973) verarbeitet, der für Viele der enttäuschten 68er zum Kultroman anvancierte.
Einschätzung
Die Autobiographie Peter Schneiders liest sich spannend, da Schneider in der Mitte der APO gewirkt hat und sehr viele der damaligen Akteure persönlich kannte. Es ist fast unheimlich, welches Kraftzentrum das Berlin der 60er Jahre war, ein Kraftzentrum das vielleicht mit dem Berlin nach dem Mauerfall vergleichbar ist. Besonders interessant und über andere Darstellungen jener Zeit weit hinausgehend ist jedoch die Selbstkritik Peter Schneiders an der eigenen Bewegung. Seine Aufforderung, den Mut aufzubringen, auch gegen die Führer in den eigenen Reihen zu opponieren, wenn etwas aus den Fugen zu geraten droht, ist eine Lehre, die sich jeder Bewegte verinnerlichen sollte. Peter Schneider hat vollkommen Recht damit, etwa die Generalausrede der 68er zu demaskieren, in der Peter Urbach als Agent des Verfassungsschutzes die Radikalisierung der Bewegung erst betrieben habe. (266) Die Radikalisierung kam aus der Bewegung selbst und wer heute noch glaubt, in den 60er Jahren sei ein neuer Faschismus bekämpft worden, der lese bitte dieses Buch von Anfang bis zu Ende.
Aber Schneiders Buch ist auch wichtig als Dokument darüber, dass die Studentenbewegung nicht von der DDR und der Stasi unterwandert waren. Die Wut und der Protest der Studenten kam aus ihnen selbst gegen eine repressive Generation von Tätern. Die geradezu auf die Akteure albern wirkenden Versuche der Stasi das Antispringertribunal mit Unterlagen zu bereichern, beschreibt Schneider mit viel Häme.
Admin 19:47, 20. Mär 2010 (CET)