Warum heißen Bibliotheken auf Englisch »libraries«?
Während wir nach einem Namen für das Projekt suchten, tauchte die Frage auf, warum »Bibliothek« im Englischen »library« heißt. So gut wie alle anderen germanischen, romanischen und auch slawischen Sprachen beziehen sich auf das griechische Wort »bibliotheke« (Übersetzungsliste).
Die erste öffentliche Bibliothek in England war die Bodleian Library in Oxford, hieß also schon »library«. Das Wort ist ans lateinische »liber« (Genitiv »libri«) angelehnt, was »Buch/Abhandlung/Schreiben/Verzeichnis« bedeutet. Die Bibliothek war ein Zusammenschluss verschiedener Schriftbestände aus Klöstern, Universitätsinstituten und Privatsammlungen. Gegründet wurde sie 1598 mit den Finanzmitteln eines Sir Thomas Bodley, der selbstverständlich auch seine eigenen Bücher stiftete. Was hatte dieser Mann gegen die Griechen? Sogar die Römer selbst sagten ja »bibliotheca«. Zudem gehörten zum Bestand der »Library« zahlreiche griechische Handschriften.
Ab 1602 öffnete die Bibliothek dann »für jedermann« (selbstverständlich nicht für Kinder und Frauen). Wenn die Bodleian Library die erste Bibliothek der Engländer für die Öffentlichkeit war - an einer schon damals renommierten Uni - dann ist die Namensgebung natürlich recht einflussreich, wirkt sich also auf den Rest des Landes aus. Manchmal latinisierte man die Oxforder Bibliothek zur »Bibliotheca Bodleiana«. Bis heute taucht sie in und außerhalb der Fachwelt meist als »Bodleiana« auf, aber selten mit dem Zusatz »Bibliotheca«. Interessant wäre, wie die Mönche und Gelehrten in Oxford ihre Buchsammlungen genannt hatten, als sie noch eigenständig waren, aber das steht weder im Brockhaus,noch in der Wikipedia...
Historisch gesehen steht das Englische nicht ganz alleine da mit seiner Wortwahl. Die lateinischen Wörter »libraria/ librarium/ librarius« bedeuten »Buchladen/ Bücherschrank/ Buchhändler«, aber Letzteres taucht auch in der Bedeutung »Bibliothekar« auf; bei Cicero findet sich der Ausdruck »librarium« in der Bedeutung »Büchersammlung«, was ja einer Bibliothek schon sehr nahe kommt. Die Benennung von Bibliotheken verlief in den verschiedenen Sprachen nicht wohlgeordnet und eindeutig. Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg zum Beispiel erließ für seine Vorläuferbibliothek der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel 1572 eine »Liberey-Ordnung« und laut Grimmschem Wörterbuch kam das Wort »Liberei« im deutschen Sprachraum erst »nach dem 17. jahrh. auszer gebrauch«. Das französische »librairie« bezeichnete bis ins 16.Jhdt. nicht nur Buchhandlungen, sondern auch Bibliotheken. Und das Oxford English Dictionary verrät, dass bis ins 18. Jhdt. im Englischen noch das Wort »bibliotheque« geläufig war. Aber als Bezeichnung für Bibliotheken durchgesetzt hat sich im englischen Sprachraum, und eben nur dort, »library«. Die anderen Sprachen gaben letztlich den Griechen den Zuschlag.
Bis zum Beweis des Gegenteils müssen wir einen Fall von sprachlichem Rassismus annehmen. Primitive, voraufklärerische Anti-Hellenistik! Ein Zeichen für die tief verwurzelte Abneigung der Inselbriten gegen das Festland.
Wir prangern das an!
PS Uwe Jochum schreibt im Vorwort seiner »Kleinen Bibliotheksgeschichte«, dass er sich »ab dem Mittelalter auf Deutschland« beschränken will - und erwähnt die Bodleian Library folgerichtig nicht ein einziges Mal.
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