Die Kommune der Faschisten. Gabriele D'Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts

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Daten zum Buch
Deutscher Titel: Die Kommune der Faschisten. Gabriele D'Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts
Autor(en): Kersten Knipp
Herausgeber:
Erscheinungsort: Darmstadt
Verlag: wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG)
Serie:
Erscheinungsjahr: 2018
Seitenanzahl: 240 Seiten
Originaltitel: -
Originalsprache: deutsch
ISBN-10: 3806239142
ISBN-13/

EAN-Code:

978-3806239140
Schlagwörter: Geschichte, italienischer Faschismus
Sachgebiete: Sachbuch, Wissenschaft
Rezensionen

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Der Sachbuchautor und promovierte Romanist Kersten Knipp beschreibt in seinem historischen Sachbuch Die Kommune der Faschisten. Gabriele D'Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts Aufstieg und Fall des Freistaats Fiume, der von rund 10.000 ehemaligen Soldaten des I. Weltkriegs, Freischärlern (Arditi) und Faschisten (184) unter Führung des italienischen Schriftstellers und Dichters Gabriele D’Annunzio im September 1919 ausgerufen und der faktisch im Dezember 1920 mit der Vertreibung D’Annunzios durch italienische Truppen beendet wurde, nachdem dieser Italien am 1.12.1920 den Krieg erklärt hatte.

Knipp beschreibt dabei sowohl die Geschichte D’Annunzios ausführlich und seinen agitatorischen Aufstieg als radikaler Dichter, als auch die kulturellen, politischen und historischen Ursachen des präfaschistischen Italiens, von dem der Freistaat Fiume eine Art ideeler Vorläufer war. Außerdem wird in einem Kapitel ausführlich das ausschweifende und zuweilen libertinäre Leben in der "Kommune von Fiume" beschrieben, da sich hier nach dem I. Weltkrieg etliche Entwurzelte, Soldaten, aber auch Frauen auf der Suche nach Sinn, Zukunft und Freiheit sammelten, die sich nicht mehr in ihr altes bürgerliches Leben einfinden konnten. Anhand dieser Ausschweifungen und der antibürgerlichen Haltung der Protagonisten macht der Autor zudem seine These fest, dass es sich bei der Republik um Fiume zwar um eine präfaschistische Bewegung gehandelt habe, diese aber gerade in ihrer radikalen Subjektivität und ihrem Freiheitsbestreben auch eine zutiefst moderne Seite gehabt habe, die u.a. auch in den Revolutionen der 68er-Bewegung zum Ausdruck gekommen sei. (15, 240 ff)

Zunächst beginnt Knipp jedoch mit dem Leben Gabriele D'Annunzio selbst. Dieser habe aus seiner Sicht die "Äasthetisierung der Politik" erfunden, wie sie später auch Mussolini betrieb. Zunächst kam D'Annunzio jedoch noch aus dem Zeitalter des fin de siècle bzw. der literarischen Dekadenz und verstand sich selbst als Ästhet und Dandy. Erst der aufkommende Nationalismus, die Technikbegeisterung für den Zug und das Flugzeug und vor allem der Futurismus als die Mode der Zeit (15) brachten ihn auf die radikale Schiene, vor allem in seiner Zeit in Rom ab 1881. Die Stadt war gerade erst 10 Jahre zuvor Hauptstadt geworden und in ihr wie in ganz Italien zeitigte sich eine nachholende Modernisierung Italiens. (43) Nachdem D'Annunzio ebenso wie Mussolini zumindest eine Zeitlang Sozialist war (78), radikalisierte sich D'Annunzio zusehends und forderte vor allem in radikalen Ansprachen und Auftritten die Wiedererlangung der italienischen Vorherrschaft im Mittelmeer (Latinität) und die Wiedergeburt des italienischen Imperiums. (75 f) Nach Knipp wird D'Annunzio endgültig zum Demagogen als er 1915 in großen Auftritten den Kriegseintritt Italiens fordert (127). Nachdem er die politischen Führer der Zeit erfolgreich zu einem Kriegseintritt Italiens anspornen konnte, nimmt er schließlich ab 1915 im Alter von 52 Jahren am Krieg teil, wobei er sich selbst in der Rolle des uniformierten Demagogen gefällt. (143 ff) Unter freier Wahl der Waffen darf er sich zusammen mit einem Adjutanten frei an der Front bewegen und hat sich endgültig vom Dandy zum Hasadeur entwickelt, der auf riskanten Flügen auch über Wien Flugblätter abwirft. Auf einer der Propagandaflüge wandelt er auch die bisherige Kampfformel der Militätpiloten Ip Ip Ip, Urrah!" in Eia Eia Eia! Alalà, der späten Kampfparole der Republik Fiume ab.

Nach Ende des I. Weltkriegs fiel es D'Annunzio wie viele andere Teilnehmer am Krieg schwer, wieder zurück in ein geordnetes, ziviles Leben zu finden. (159) D'Annunzio spricht in diesem Zusammenhang gar von einem "grausamen Sieg, der so viel Lebendiges zerstört und mich kaum lebendig zurücklässt." (159) Als sich abzeichnet, dass Italien nicht wie in den Londoner Geheimabsprachen zum Kriegseintritt 1915 umfangreiche Gebiete an der Adria, vor allem die ehemalige Hafenstadt Fiume, zugesprochen bekommen soll, da der amerikanische Präsident mit seinen 14 Punkten vor allem das Selbstbestimmungsrecht der Völker durchsetzen möchte und keine Geheimdiplomatie mehr zulassen möchte, erkennt D'Annunzio laut Knipp die Gelegenheit, wieder demagogisch Tritt zu fassen und erfindet den Begriff des "verstümmelten Siegs" (vittoria mutilata) (165), womit er ausdrücken möchte, dass Italien ein Anrecht auf die Stadt an der Adria hat, die zudem eine italienische Bevölkerungsmehrheit stellt, aber eben nur in der Stadt mit 50.000 Einwohnern und nicht in der Region um die Stadt.

Angestachelt von der Rhetorik D'Annunzios vollführen ca. 2.500 Freischärler, unter ihnen vor allem die Arditi, ehemalige Elitesoldaten, die später auch den Kern der faschistischen Schwarzhemden stellen, einen Marsch auf Fiume, der als Vorbild für den Marsch auf Rom gelten kann, und besetzen die Stadt und machen sie zur freien Republik. Die Arditi, die einem Kult von Männlichkeit, Jugendlichkeit und Verwegenheit folgen, suchen ab hier ihr Heil im Irregulärem, Exzentrischem und Außergewöhnlichem. (172f) Ihr Schlachtruf: "Me ne frego". Während der 15-monatigen Herrschaft der Freischärler über Fiume, zu dessen Finanzierung auch Raubzüge und Piraterie durchgeführt werden, entsteht in Fiume eine wilde Mischung aus Fackelaufzügen und freier Liebe, FKK und Drogenorgien (198). Auch wenn Mussolini und andere in Fiume durchaus "ein Labor der Massenbewegung" (188) erkennen, wird die Aussichtslosigkeit des Unterfangens dennoch schnell erkannt und es erfolgt kaum Unterstützung der Aufständigen, im Gegenteil wird ihnen die Lieferung von Lebensmitteln sogar entzogen. Die Radikalität der Republik von Fiume beschreibt Knipp zudem an Hand von Gudio Keller, Pilot und Leibgarde D'Annunzios, der während des Fliegens Bücher las und bekannt dafür war, nackt durch die Stadt zu laufen und die Psychiatrien Italiens anschrieb, sie sollten alle ungefährlichen "Irren" nach Fiume entlassen. (206). Es galt die Losung Fiume o Morte.

Fiume war nicht nur ästhetisch ein Vorläufer der späteren faschistischen Bewegung, sondern auch verfassungsrechtlich. Der spätere faschistische italienische Staat übernahm einige der Ideen, die in der Verfassung von Fiume, der Carta del Canaro, von Alceste de Ambris niedergeschrieben war, freilich bereinigt um die in Fiume installieren liberalen Grundrechte. Die Verfassung von Fiume war "der Versuch einer komplizierten Synthese kommunitaristischer und libertärer Ideen und der moderen Vorstellung eines organischen Staates." (214).

Die Republik von Fiume wurde im Dezember 1920 durch reguläre italienische Truppen beendet, D'Annunzio selbst aber konnte nachdem Mussolini an die Macht gelangte, noch weitere 20 Jahre unbehelligt am Gardasee in einer Villa verbringen, wo er ein Museum seiner selbst errichtete, so Knipp. Seine Distanz zum faschistischen Staat wuchs jedoch zusehend, da er seine radiale Subjektivität in einem völlig korporierten Staat nicht ausleben konnte. Am Ende lautete sein Motto: "Ich wage, aber plane nicht. (Ardisco, non ordisco)" (177)

  • Fazit* Das Buch Knipps ist spannend geschrieben und sehr gut recherchiert. Man merkt ihm an, dass Knipp als Romanist viele Quellen und Bücher gut im Original lesen konnte. Die These freilich, in der Republik Fiume auch einen modernen Zug zu erkennen, der zudem auf Grund der dort konsumierten Drogen und des praktizierten Sex einen Bezug zu 1968 hat, halte ich eher für schwach. Man kann das Buch jedoch auch ohne Zustimmung zu dieser These mit sehr großen Gewinn lesen. Must read!